Zwängungen im Mauerwerk

Erläuterungen zu auftretenden Spannungen im Mauerwerk

Beispielhafte Ausbildung einer Fensteröffnung

Neben der ausreichenden Standsicherheit eines Gebäudes ist auch eine ausreichende Sicherheit gegen Auftreten von Rissen wichtig. Voraussetzung für eine zutreffende Beurteilung der Risssicherheit von Bauteilen und Bauwerken aus Mauerwerk ist die ausreichend genaue Kenntnis der in Betracht zu ziehenden Verformungs- und Festigkeitseigenschaften, im Wesentlichen: Schwinden, Kriechen, Zugfestigkeit, Zug-E-Modul und Haftscherfestigkeit.

Nicht jedes „Risschen“ stellt einen Mangel dar, über den zu verhandeln ist und der eine Reklamation rechtfertigt. Zu prüfen ist deshalb fallweise, ob ein Riss nur ein Schönheitsfehler und dieser leicht zu beseitigen ist, oder ob der Riss die Gebrauchsfähigkeit stark beeinträchtigen kann und damit Sanierungsmaßnahmen erforderlich werden. Anzustreben ist daher, Risse schon bei der Planung und Ausführung zu vermeiden. Dies setzt voraus, dass die wesentlichen Einflüsse auf das Entstehen von Rissen bekannt sind und die Risssicherheit ausreichend genau bestimmt werden kann.

Risse entstehen, wenn die Beanspruchung (Spannung) an das Bauteil größer als die Festigkeit wird. Bei kurzzeitiger Beanspruchung ist die Kurzzeitfestigkeit, bei lang andauernder Beanspruchung die Dauerstandsfestigkeit maßgebend. Bei lang andauernder Beanspruchung ist einerseits zu berücksichtigen, dass die Festigkeit etwa 20% geringer ist, als sie sich bei der Kurzzeitprüfung ergibt, andererseits werden lang andauernde Spannungen durch Relaxation abgebaut.

Spannungen entstehen durch Einwirkung von Lasten (z. B. Belastungen der Wände durch Geschossdecken), aber auch durch behinderte Formänderung, die mit und ohne Lasteinwirkung entstehen können. Zur erstgenannten Art gehören die elastischen Formänderungen aus kurzzeitiger Lasteinwirkung und das Kriechen aus langzeitiger Lasteinwirkung, während Feuchte- und Wärmedehnung Formänderungen der zweiten Art sind. Besondere Bedeutung hat dabei das Schwinden, das durch Austrocknen (Feuchtigkeitsabgabe) entsteht und zur Volumenverringerung bzw. Verkürzung führt. Teilweise umkehrbar ist das Quellen bei keramischen Baustoffen, wie z. B. bei Mauerziegeln und Fliesen, und auch beim Porenbeton.

Wird das Verkürzen eines Bauteils infolge Schwindens und ggf. Abkühlen durch die Lagerungsbedingungen (Verbindung mit anderen, sich anders verformenden Bauteilen) behindert, so entstehen aus dem behinderten Anteil der Formänderung Spannungen. Wegen der vergleichsweise kleinen Festigkeit ist die Rissgefahr bei Zug-, Scher- und Schubspannungen größer als bei Druckspannungen. Wesentlich ist stets die Größe des Verformungsunterschiedes und des verformungsbehinderten, d. h. des spannungserzeugenden Anteils zwischen benachbarten Bauteilen. Dieser hängt ab von der Belastung, den Bauteilmaßen, den klimatischen Bedingungen (Temperatur, relative Feuchte), den Lagerungsbedingungen („Grad“ der Bauteilverbindung: Behinderungsgrad), sowie den Baustoffeigenschaften (Verformungseigenschaften, Festigkeit). Deren Kenntnis ist somit eine wesentliche Voraussetzung für eine Abschätzung der Risssicherheit.

Grundsätzlich verläuft das Schwinden bei konstanten Austrocknungsbedingungen anfangs stärker, später immer weniger mit der Austrocknungsdauer. Wesentliche Einflüsse auf den Schwindverlauf sind

  • das Gefüge (Porenvolumen, Porengrößenverteilung, Bindemittel und Zuschlagart),
  • die Bauteilgröße,
  • die Austrocknungsbedingungen (relative Luftfeuchte, Luftströmung),
  • die Anzahl extremer Temperatur-Wechsel,
  • die Anzahl der Schwind-Quell-Wechsel.

 

Derartige Wechsel, d. h. wiederholtes Schwinden nach Befeuchten, können auftreten, wenn die Mauersteine auf dem Lagerplatz, auf der Baustelle und im ungeschützten Mauerwerk Niederschlagsfeuchtigkeit aufnehmen und zwischendurch wieder abgeben. Das erste Schwinden beginnt meist im herstellfeuchten Zustand, jedoch stets ohne vorherige Austrocknungsmöglichkeit.

Das Schwinden ist bei Steinen erst nach zwei Monaten bis einem Jahr beendet. Bei Mauerwerk ist mit einer Schwinddauer von drei bis fünf Jahren zu rechnen, wobei 90% des gesamten Schwindens bereits nach etwa einem Jahr erreicht werden. Wesentliche Unterschiede im Schwindverlauf der Steine in Richtung Steinhöhe und -länge bzw. am Mauerwerk senkrecht und parallel zu den Lagerfugen ergeben sich nicht.

Die DIN 1053-1 nennt als Endwert der Feuchtedehnung (Schwinden, chemisches Quellen) für Kalksandsteine, Betonsteine und Hüttensteine einen Rechenwert von -0,2 mm/m und einen Wertebereich von -0,1 bis -0,3 mm/m, für Porenbetonsteine einen Rechenwert von -0,2 mm/m und einen Wertebereich von +0,1 bis -0,3 mm/m, für Leichtbetonsteine unter Verwendung von Naturbims einen Wert von -0,4 mm/m und ei-nen Wertebereich von -0,2 bis -0,5 mm/m. Der Rechenwert für Mauerziegel wird mit 0 mm/m angegeben, jedoch bei einem Wertebereich von +0,3 bis -0,2 mm/m. Der Wertebereich gibt dabei den maximalen Bereich an der nach derzeitigen Erkenntnissen möglich ist. Untersuchungen haben auch gezeigt, dass die Lagerzeiten der Steine nach der Produktion einen wesentlichen Einfluss auf das Schwinden haben. So wurden bei Leichtbetonbaustoffen in Langzeitversuchen an Steinen und Wänden Endschwindmaße von rund -0,2 mm/m festgestellt.

Die Betrachtung ausschließlich des Schwindens der Wandbauteile stellt oftmals eine unzulässige Vereinfachung dar. Ein Baukörper erfährt lastabhängige und lastunabhängige Verformungen. Weitere Verformungen können sein:

Elastische Verformungen

Sie treten unmittelbar nach Aufbringen der Belastung auf und sind dann auch abgeschlossen. Die Belastung rührt aus dem Eigengewicht der Baukörper (Wände, Decken, Estrich, Putz) und der so genannten Verkehrslast (Nutzlast aus Begehen und Möblierung) her. Die elastischen Verformungen sind deshalb erst bei Inbetriebnahme des Gebäudes abgeschlossen

Kriechverformungen

Bei konstanter Belastung und nach Auftreten der elastischen Verformung verformt sich der Baukörper über einen bestimmten Zeitraum weiter. Baupraktisch sind die Kriechverformungen nach zwei bis fünf Jahren abgeschlossen. Die Kriechverformungen sind etwa um den Faktor 2 größer als die elastischen Verformungen. Auch wegen der Kriechverformungen ist ein möglichst später Zeitpunkt für das Aufbringen des Putzes wünschenswert.

Setzen des Baugrundes

Maß und zeitlicher Verlauf für das Setzen hängen ab vom Baugrund und den Grundwasserverhältnissen.

Feuchtedehnung

Die mit Bindemittel (Kalk und/oder Zement) hergestellten Baustoffe (Leichtbetonsteine, Mauermörtel, Putz, Betonbauteile) verringern ihre Abmessungen mit zunehmender Austrocknung (Schwinden). Der Vorgang ist weitgehend reversibel (Quellen). Baupraktisch ist das Schwinden nach zwei bis fünf Jahren abgeschlossen. Dies ist also nur ein Grund dafür, den Verputzzeitpunkt möglichst spät zu wählen.

Wärmedehnung

Entsprechend der Temperaturänderung ändern sich die Abmessungen der Bauteile. Daraus resultiert ein „Arbeiten“ der Risse. Häufig anzutreffende Risse sind (unabhängig vom verwendeten Baustoff) Brüstungsrisse, meist im senkrechten Verlauf der Leibungen, aber auch solche im Brüstungsbereich senkrecht verlaufend oder von den unteren Eckpunkten der Fenster schräg nach außen. Die Ursache liegt häufig an horizontalen Zugspannungen am oberen Rand der Brüstungen infolge des Spreizens der Drucktrajektorien, exzentrisch eingeleiteter Sturzauflagerkräfte und erhöhter Schwindzugspannungen wegen der Querschnittsverringerungen durch die Öffnungen. Im Bereich der Fensterbrüstungen wird häufig auch nicht beachtet, dass eine Stoßfuge in der Verlängerung der Leibung eine Sollbruchstelle für den zu erwartenden Brüstungsriss darstellt.

Zur Vermeidung von Rissen im Brüstungsbereich ist immer eine konstruktive Bewehrung vorzusehen, z.B. das Einlegen von mindestens 2 Bewehrungseisen Stab-Ø 6 mm in der letzten, oberen Lagerfuge. Die Eisen sollten beidseitig 50 cm in das seitliche Mauerwerk ragen. Alternativ, wenn auch nicht als voller Ersatz, kann auch eine Armierung des Unterputzes im Brüstungsbereich ausgeführt werden.

Wegen der Verformungsunterschiede ist im Bereich der Verlängerung der Leibung nur diagonal eingelegtes Gewebe (unter 45° zur Lagerfugenrichtung) zur Aufnahme der Zugkräfte wirksam. Armierungsgewebe im Unterputz bei geringfesten Leichtputzen bedürfen im Übrigen einer größeren Überdeckungsbreite/Verankerungslänge als die üblichen 10 cm. Es empfehlen sich mindestens 50 cm.

Je nach Unterputz, sollte dieser fester als der Untergrund (Leichtsteine) ausgefallen sein, kann es auch durch unterschiedliche Verformungskriterien zum plötzlichen Reißen kommen. Grundsätzlich soll die Material-Festigkeit von innen nach außen abnehmen. Als Putzsysteme für wärmedämmendes Mauerwerk sind daher mineralische Leichtputze oder mineralische Faser-Leichtputze die ideale Ergänzung.

Die Sanierung von Rissen kann oftmals durch ein gezieltes Überstreichen erfolgen. Eine Sanierung sollte stets nach Abklingen der Verformung des Gesamtbauwerks erfolgen, was frühestens drei Jahre nach Fertigstellung des Rohbaus zu erwarten ist. Risse mit einer Weite über 0,2 / 0,3 mm sind aufzuweiten und anschließend kraftschlüssig zu vermörteln.

Nach jüngsten Rechtsprechungen geht man bei Rissen in Innenwänden mit Rissbreiten ≤ 0,3 mm und in Außenwänden mit Rissbreiten ≤ 0,2 mm davon aus, dass die Gebrauchsfähigkeit des Mauerwerks in keinem Fall beeinträchtigt ist und bezeichnet solche Risse als Schönheitsfehler.